Richard Rendl

Prof. Dr. Otto Antonia Graf ist Vorstand des Instiuts für Kunsgeschichte an der Akademie der bildenden Kunst in Wien.
Buchveröffentlichungen: "Die vergessene Wagnerschule", "Die Epoche des überfließenden Sehvermögens", "Die Kunst des Quadrats" (über Frank L. Wright), "Otto Wagner", etc.


GERETTETE ERSCHEINUNG

über den Maler Richard Rendl

von Otto Antonia Graf

 

Der Mensch hat die Kunst nicht, um etwas darzustellen, sondern um sich hineinzustellen und in ihr zu wohnen. Wenn das begriffen wird, zerfällt der riesige polizistischeApparat der Philosophen und Kunsttheoretiker früherer Jahrhunderte (Von Winkelmann und Hegel) bis hin zu den heutigen Kunstpäpsten der Medienindustrie zu Zunder, und die Weltgeschichte der künstlerischen Arbeit an der Mandorlisation der Menscheit tritt zutage. Die Kunst ist ein unendlicher Akt, das Leben zu schützen, es zu bewahren und auf eine höhere Ebene zu heben. Sie entstammt der "Grundenergie des Kosmos" (Teilhard), der Liebe, und arbeitet an der Gestalt der Menscheit, ohne auf die famose Dialektik zwischen Schein und Sein wesenhaft einzugehen, denn das künstlerische Handeln hat seine Wahrheit darin, daß es für den Menschen etwas tut, was keine andere Praxis zustandebringt.. Das "Berühren verboten" der Museen bezeichnet den Gegenpol zur künstlerischen Handlung. Die Linie macht einen Strich, der das Abgebildete oder Abzubildende liebevoll streichelt und ins Licht der Form, das er dem Gegenstand gibt, einhüllt. Christus und Buddha sitzen in der speziellen Mondorla einiger Kreisscheiben oder Lotosblumen aus dem Schuppenmuster: die Baukunst hüllt den Menschen der Gruppen und Völker in die allgemeine Mandorla des Hauses, des Tempels, der Stadt, des Reiches, das von Mauern umgeben ist und die allgemeine Mandorla bildet, nämlich die soziale kunstvolle Identität der Form, in die eine bestimmte Kultur sich kleidet und einhüllt. Mit Verkleidung hat das nicht zu tun.

All das wird unmittelbar ansichtig, wenn die kunstwissenschaftlichen Erfindungen des 19. Jahrhunderts, die "Stile" und "Kunstgattungen" aufgeben werden, denn dann wird sichtbar, daß die künstlerische Arbeit eine Liebesbewegung zwischen dem Bewunderten und dem Bewunderden darstellt und abbildet, zum Gehäuse und zur Wohnung ausformt. Die Stilgeschichte, die vermeintlich streng wissenschaftliche, weiß nichts von der kollektiven und planetaren erotischen Transformation der Sinngestalten, weil sie sich grundsätzlich an den Unterschieden interessiert zeigt, aber nicht an der Einheit der Lebensprozesse und der Liebestaten, die Kunst genannt wird. Die Kunstgeschichte ist eine Liebesgeschichte, oder nichts als Arbeitsmarktpolitik für viel zu viele Kunsthistoriker, Kunsthändler und Kunsttheoretiker, die allesamt parasitäre Existenzen bleiben müssen, solange sie nicht einsehen, daß die Kunst zuerst und unwandelbar erotischen Sinn, dann humane Bedeutung und schließlich namengebende Inhalte hat, die beliebig wechseln und ausgetauscht werden können, und fälschlicherweise von der wohlorganisierten Kategorie der Langweile, dem sog. Publikum, für das Um und Auf der "Kunstgeschichte als Geistesgeschichte" gehalten werden. Inhalte sind bloß Übersetzungsprobleme des oberflächlichen kulturellen Wandels, getragen vom energischen Fluß der erotischen Sinnformen, die den Menschen unmittelbar und meistens recht unbewußt gegenwärtig sind.

Notwendigerweise baut sich der Künstler durch sein Werk, denn er kann handelnd nicht dem Dilemma zwischen Selbstliebe und Selbsthass entgehen. Dieses Erbauen des Menschen, der die Werke hervorbringt, fällt stets unter den Kaffeetisch, auf dem die Künstlerbiografien herumliegen, da die Leser grundsätzlich annehmen, daß die Kunst für die Gesellschaft bestimmt ist und daher diese auszudrücken habe. Also fällt alles, was vom Konsumenten nicht verstanden wird, weil er sich nicht an der individuellen und weltgeschichtlichen Liebesbewegung beteiligen will, in den Orkus des Nichtvorhandenseins. Es ist aber bloß das Publikum oder die Kunst-Welt etwas existentiell Nichtvorhandenes. Gewöhnung hilft nicht, denn sie verlangt Einwohnung und Beiwohnung in der künst-lerischen Liebesarbeit.

Der Maler Richard Rendl (geb. 1946 in Wien) lebt jenseits des dadaistischen Vodoozaubers, der unvermeidlich entsteht, wenn ununterbrochen die Frage der Verzweiflung gestellt wird, was denn die Kunst sei. Denn diese andauernde Frage erhält nie eine Antwort, die es stillte, weil alle bloß intellektualistischen und theoretischen Antworten, falls sie überhaupt die Banalität des konformistisch-avantgardistischen Geschwätzes überschreiten, falsch sind und sein müssen. Die Antwort auf die Frage der Kunst ist die Kunst selbst. Dieser Zirkelschluß ist ihr Kosmos, der aus keiner Frage mehr besteht, sondern aus der Schönheit ihres Daseins. Die Kunst stellt keine Fragen, sie drückt sie aus, sie ist was sie ist. Wer sie nicht sieht, spürt und fühlt, dem ist sie nicht gegeben, weil er sie nicht angenommen hat. Weil die Philosophen längst aufgegeben haben nachzudenken, was die Liebe sei, kommt sie in der Philosophie nicht mehr vor. Diesem großen Verbrechen der Philosophie, das viel mehr Schaden anrichtet als alle Seinsvergessenheit und ähnliche Kalauer der theologischen Hinterlist, korrespondiert auf dem Felde der Kunst der Exzeß der Fragegeschwätzigkeit, dem der Künstler ausweicht, weil er das tut, was er kann, eben zeichnen, malen, bauen esf.. Er zieht Linien um dem schutzbedürftigen Menschen, der zu erbauen ist. Dem Liebenden muß nicht erklärt werden, was die Liebe sei – er weiß es, weil er sie erfährt und tut. Das, was nicht geliebt wird, existiert nicht für den, der sich dem bloßen Mangel, dem Bösen überliefert. Weil das so ist, lebt der Maler Richard Rendl inmitten seiner Kunst, seiner Menschheit und Menschlichkeit. Im Kosmos seiner personalen Mandorlisation existiert er wie jeder wirkliche Maler und schafft sein Werk, sich selbst. Der Betrachter hat in diesen Kosmos hineinzugehen, um ihn zu sehen und zu empfinden ohne jedes Vergleichen der kunstgeschichtlichen Folge des ökonomischen Verhältnisses zwischen Waren und Preisen.

"Meine über lange Jahre gehende Arbeit an Abstraktionen, Rhythmen, Strukturen stellt für mich eine auf jeweils verschiedene Weise erfolgende Annäherung an die Gestalt (natur- und menschhaft) dar. Gemeint ist die Gestalt in neuer Form, nicht als isolierte, sondern quasi ornamental, d.h. für mich: in geretteter Erscheinung. Mein Ziel war und ist ein neues ganzheitliches Menschen- und Naturbild; ein mehrdimensionales Kontinuum, das Verwobensein sämtlicher Dimensionen und mikrokosmisch-kristalliner Strukturen, die analoge Aufarbeitung der Gestaltbildung im vegetabilischen Bereich durch Symmetrien, Zahlenstrukturen und Rhythmen etc. bis hin zum ganzen Spektrum menschlicher Affekte -die symbolbildenen Faktoren als zu integrierende Bestandteile der humannen Gestalt. Meine Bemühungen gehen um das ins Allgemeine eingewobenen Individuum, nicht um das abgespaltene, defizient subjektivistisch sich gebärdende spätzeitliche abendländische "Ich", wie es heute erdrückend gegenwärtig ist. Meine Kunst hat zum Ausgangspunkt das persönliche Erleben; sie umfaßt ebenso die ins Unanschauliche Gerückten Abstraktionen der "objektiven" Wissenschaften - sie in den sinnlich erlebbaren, anschaulichen Bereich des Humanen hereinzuholen. Dem entspricht umgekehrt die Arbeit an der eigenen Person als einem dem Ganzen verpflichteten Teilsubjekt". (1982)

Die gerettete Erscheinung, von der Rendl spricht, ist die Sinnformgeschichte der Mandorlisation, die seit den späten Magdalenien (etwa um 12 000 v. Chr.) verfolgbar an der Rettung des Menschen durch die Kunst arbeitet. Die Ornamentalität darf nicht verwechselt werden mit dem Ornament, das von der Bauindustrie des 19. Jahrhunderts erfunden wurde. Sinnformen umschreiben die erotischen Formen mit Linien, Netzen und Mustern, aus denen durch komplexe Transformationen die schier unendliche Gestaltfülle der Baukunst entsteht. Die gespiegelte Wellenlinie, die über dem Viertel des Kreisumfanges verläuft, enthält, wenn sie in ihren Knotenpunkt mit sich selber gekreuzt wird, alle Ersscheinungen der planetaren Weltgeschichte der Kunst: Die Bilderwelt Richard Rendls rekapituliert Schritt für Schritt die Folge der hochkulturellen Erscheinungen seit dem sechsten Jahrtausend (Catal Höyük, Hacilar. Tell Halaf etc.). Der Betrachter, der wie die meisten Kunsthistoriker von den "Geometrien" zwischen 12 000 und 3 000 v. Chr. nichts weiß, wird diese Bilder wegsschieben wollen, wer sie kennengelernt hat sieht in den auf den ersten Blick fremdartig anmutenden Bildwänden die Geschichte der großen Formen von den Pyramiden bis zur Hagia Sophia und der Kathedrale von Chartres, St. Peter und Frank Lloyd Wright. Das "ins Allgemeine eingewobene Individuum" dieser Malerei ist die weltgeschichtliche Summe der künstlerischen Arbeit, deren Unkenntnis z. B. die Postmoderne unerträglich ungebildet und grobschlächtig erscheinen läßt.

1971 beginnt mit der Serie der Kosmogramme die systematische Personalmandorla des Malers: Dem Quadrat mit den Diagonalen, geschichtlich z. B. die Pyramiden hervorbringend, aber auch sämtliche mittelalteriche Wölbsysteme, folgt das Bild "Mandorla" dessen Titel auf die Grundformen aufmerksam macht. Das Bild "Srömende Energie" (1971) erinnert an die Netzte und Felder, aus denen alle höheren Kunstformen entwickelt wurden. Kreuz, Kreis und Pyramidenquadrat (Kosmogramm 1973) eröffnet die lange Reihe der ornamental dichten Felder: Es ist das Zeichen für "Ortschaft" der Ägypter.

Die Serie Matrix (1977-79) bringt dichtere, linear durchwebte Versionen des Quadrats aus Rhomben und Diagonalen und die Rosette (1979) im Achtort (Quadrat und Rotation um 45 Grad) eine Form, die fast allein die gesamte "Gotik" produziert. Charakteristischerweise feht auch der wichtigste postägyptische Isis-Osiris-Topos, die Verkündigung, nicht (1977). Dann erscheinen die bekannten Mandorlen (1980) aus Eilinie und achtstrahliger Rosette (1981), die großartig einfachen Schoßzeichen der byzantinischen Maler, deren komplexeste Erräumung die Hagia Sophia ausbildet.

Seit 1982 entstehen überaus dicht von Linien ausgefüllte hochformatige Tafeln (Bereschit, das innere Alphabet, Adam de´ aziluth 1982-83),. Bereschit (Im Anfang) legt die eingerollte Pelte in das Feld der Kreispartikel: das Bild gerät ganz nahe an die prächtigen Teppichseiten der Beatus Vir-Initialen des 13. Jahrhunderts, die Rendl wahrscheinlich kaum gesehen haben dürfte.Die kabbalistischen Inhalte (Schechina 1983; Adam Kadmon, 1986) leiten über zur Schöpfungsmatrix 1 (1984), die vom dichten Gewimmel der ursprünglichen Linien vibriert. Hier blickt der Betrachter in die Zonen des Gestaltens, die das neue Kunstverständnis als ornamentales Verbrechertum und Degeneration denunziert, weil es nicht versteht was die Kunst in Wirklichkeit tut. Also denkt der Betrachter vielleicht an Irische Buchmalerei und islamische Teppiche und deren Schriftfelder. Das Triptychon Soter, Paraklet, Haus der Versöhnung (1984 – 85) variert die strenge Architektur der Horizontalen und Vertikalen durch die Netze und Dreiecksformen der langen Geschichte der symbolischen Grundformen. Das "Haus des Erscheinens" (1990) gibt die Weltgeschichte der Grundformen, die seit dem 8. Jahrtausend entsteht, erschöpfend wieder, in der Kreise einander durchdringen nach der Methode: 4 x 5 = 20 = Dorica. (Siehe O. A. Graf, Otto Wagner, 3, Die Einheit der Kunst, Wien 1990).

Schließlich wendet sich Rendl in den letzten Jahren (Adonai Zewaoth, 1987, Ökumenischer Gottesname, 1988) dem Ärmsten der Armen, der unennbaren und unvorstellbaren, niemals abzubildenden Gottheit zu, die begraben unter Lawinen von Todesanzeigen, geistesgeschichtlichen Erklärungen und religionszoologischen (sic)! Killerphrasen, bösartigen Theologien und Theokratien, verständlicherweise von reaktionären und modernistischen Bildermachern gleichermaßen gemieden wird. Die Namen Gottes ökumenisch zu umschweigen – die Malerei ist keine redende Kunst, wie rethorische Mißverständnisse der Kunstwissenschaften zu glauben vorgeben – bleibt dem Einzelnen überlassen, kein Gottesverspottungsdienstleistungsbetrieb, welcher Religion oder Konfession auch immer, interessiert sich heute für die Hauptaufgabe aller Mandorlisation, und die antiklerikale Intellektualität weiß gar nicht, womit sie es zu tun haben könnte. Die alte Malerei hatte seit Altamira kaum mehr begreifliche Geduld für die kompositorische Arbeit mit wenigen Linien und vielen Strichen, aus denen sie alle Gestalten der Künste wob: An den Bildwänden, in denen Rendl behaust ist, mag der Betrachter lernen, was Geduld des Auges und der liebkosenden Hand vermag, nämlich die Einheit der Zahlen, Zeichen, Buchstaben, Linien und Mandorlen nachzubuchstabieren, die der bildfremden Gegenwart aus dem lichten Dunkel der Vorgangenheit (sic!) zukommen.

Wien, 1991

Texte über Richard Rendl